Die Erfindung der Flügel: Roman (German Edition) by Kidd Sue Monk

Die Erfindung der Flügel: Roman (German Edition) by Kidd Sue Monk

Autor:Kidd, Sue Monk [Kidd, Sue Monk]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: btb Verlag
veröffentlicht: 2015-01-21T00:00:00+00:00


Sarah

Ich musste die beschwerliche Rückreise nach Philadelphia allein antreten. Dort fand ich in demselben Haus Unterkunft, in dem ich mit Vater logiert hatte. Ich hatte dort nur bleiben wollen, bis das Schiff die Segel setzte, doch an besagtem Morgen – mein Koffer war gepackt, die Kutsche wartete – sträubte sich ein Teil von mir, ein fremder Teil.

Mrs Todd, meine Vermieterin, klopfte an die Tür. »Miss Grimké, die Kutsche – sie wartet. Soll ich den Fahrer schicken, Ihren Koffer zu holen?«

Ich ließ sie auf die Antwort warten und stellte mich ans Fenster, schaute hinaus auf den Lattenzaun mit seinem vielblättrigen Wein, auf die gepflasterte Straße mit ihren Ahornbäumen, auf das Licht, das in ruhigen, gesprenkelten Mustern darauffiel, und hauchte leise: »Nein.«

Dann wandte ich mich um und löste meine Haube, schwarz, mit einem kleinen Rüschenrand, der Trauer angemessen. Ich hatte sie am Vortag auf der High Street gekauft, als ich ganz für mich allein unbeschwert durch die Geschäfte gegangen war. Hinterher war ich in dieses schlichte Zimmer heimgekehrt, in dem keine Diener oder Sklaven warteten, weder übersteigertes Mobiliar noch Filigranarbeit noch Blattgold, niemand, der mich zum Tee oder zu Besuchern rief, an denen mir nichts lag, niemand, der irgendetwas von mir wollte. Nur dieses kleine Zimmer, in dem ich mich selbst um alles kümmerte, sogar um Bett und Wäsche. Ich wandte mich an Mrs Todd. »Ich würde das Zimmer gern ein wenig länger behalten, falls das möglich ist.«

Sie schaute mich verwirrt an. »Sie reisen nicht wie geplant ab?«

»Nein, ich würde gern noch eine Weile bleiben. Nur eine Weile.«

Ich sagte mir, dass ich im Stillen trauern wollte. Das war doch denkbar, oder etwa nicht?

Mrs Todd, die Ehefrau eines darbenden Rechtsreferendars, griff nach meiner Hand. »Sie sind mir als Gast willkommen, so lange Sie das wünschen.«

Ich schrieb Mutter einen beflissenen Brief, in dem ich das Unerklärliche erklärte: Vater war gestorben und ich würde nicht sogleich nach Hause kommen. Ich muss allein trauern.

Ihre Antwort erreichte mich im September. Ihre kleinen, engen Zeilen trieften vor Tinte und vor Wut. Mein Verhalten sei gefühllos, schändlich, selbstsüchtig. »Wie kannst du mich in meiner dunkelsten Stunde im Stich lassen?«, hatte sie geschrieben.

Ich warf den Brief in den Kamin, doch da hatte mein Gewissen schon die ersten Prellungen davongetragen. In ihren Worten lag ein Körnchen Wahrheit. Ich war selbstsüchtig. Ich hatte Mutter im Stich gelassen. Und auch Nina. Die Erkenntnis quälte mich, und dennoch blieb ich.

Ich verbrachte meine Tage mit Müßiggang. Ich schlief, wenn ich müde war, oftmals mitten am Tag. Mrs Todd erwartete mich längst nicht mehr zu den Mahlzeiten, sondern stellte mir das Essen in der Küche bereit. Ich nahm es zu den merkwürdigsten Stunden hinauf in mein Zimmer und wusch das benutzte Geschirr selbst. Es gab im Haus zwar auch einige wenige Bücher, doch lieber schrieb ich in das kleine Tagebuch, das ich erworben hatte, hauptsächlich über Vaters letzte Tage, und übte mich, mithilfe einer Lernkartei, an der Heiligen Schrift. Ich flanierte unter Ahornbäumen, die erst hell, dann bronzefarben wurden, und wagte mich mit jedem Tag ein wenig weiter vor – bis zum Washington Square, zur Philosophical Hall, nach Old St.



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